Mittwoch, 22. Juni 2011

Letzte Stunde



 „Es ist schon immer so gewesen, am letzten Tag wird vorgelesen.“
Das waren noch Zeiten, als es für Schüler ein seltener Höhepunkt war, wenn die Lehrkraft sich bemüßigt fühlte, wegen der herannahenden Ferien nun einmal etwas Nettes zum Vortrage zu bringen und gar selbst ein Geschichtlein vorlas.
Den Schülern war es beinahe egal, was da angehört werden sollte, Hauptsache, nicht auch in der letzten Stunde noch pauken, inclusive Hausaufgaben für „über die Ferien“.
Heute sieht das ganz anders aus:
Elektronisch hochgerüstete Schüler, die über die in der Schule gebotenen und möglichen Formen der Nutzung von neuen Medien nur lachen können, warten am letzten Tag vor den Ferien gelangweilt auf  den Lehrer, der ihnen das seiner Meinung nach „brandneue“ VHS-Video vorführen möchte, das 80% der Schüler sich schon vor vier Jahren als Raubkopie auf den Laptop gezogen haben.
Also:
Stress in der Lehrerschaft. Schon Wochen vor dem „Letzte-Stunde-Termin“ sind alle nervös und fragen sich zuerst, in welcher Klasse muss ich wohl präsentieren? Wo sitzt der Feind?
Unabhängig von dieser Frage werden präventiv alle Videoräume und sonstige Medien gebucht und blockiert, damit man für alle Eventualitäten gerüstet ist.
Hecktisch wird die einschlägige Ratgeberliteratur einschließlich des Internets nach „funktionierenden“ Tipps für die „Letzte Stunde“ durchforstet.
Dabei kommt meist nicht wirklich etwas Gutes heraus und der gestresste Lehrkörper kann froh sein, wenn seine „Letzte-Stunde-Klasse“ auf solch rettende Ideen wie „Wir könnten doch frühstücken“ oder „Lasst uns doch nochmal wichteln“ kommt.
Dass diese Freude nicht allen beschieden ist, wurde mir vor ein paar Tagen wieder klar.
Ein junger Kollege, gerade examiniert, stand jetzt also mit seiner Kassette da, wusste, dass er wohl keine Beifallsstürme in seiner Klasse erwarten konnte und hatte trotzdem etwas von endgültiger Kühnheit in seinem Blick.
Er gab stolz zu verstehen, dass er bis zum Schluss anspruchsvollen Unterricht machen werde.
Den Film, den er zeigen werde, habe er nicht in deutscher Sprache bekommen, nur mit deutschen Untertiteln und somit sei sein Unterricht eben fächerübergreifend, also toll und etwas Besonderes, also perfekt für die letzte Stunde.
Wie die Schüler das fanden, weiß ich nicht.
Das Vorlesen einer schönen Geschichte kennen übrigens die meisten Schüler kaum noch.
Sie genießen es ab und an. Warum nicht in der letzten Stunde?

1 Kommentar:

Gute Noten, verständlich!

Im Sportunterricht gibt es häufig gute Noten weil: • im Sportunterricht die allermeisten Schüler etwas tun, was sie auch in ihrer Freizeit m...